Autobiografie von Angela Sommer-Bodenburg
Poetry In Motion
Kindheit
Allein
in meinem Gitterbett
sehe ich
die Rosen
auf der Tapete
zu Eisblumen werden
Unsere Familie bewohnte damals ein kleines Zimmer auf der Etage, das auch noch mein sechs Jahre älterer Bruder mit uns teilte. Ich habe nur eine einzige Erinnerung an dieses erste Zimmer: ich hatte Keuchhusten und weil ich ständig hustete, ließ meine Mutter die Stehlampe eingeschaltet. Damit die anderen schlafen konnten, deckte sie ein Tuch über die Lampe, das dann zu brennen anfing. Der Brandgeruch, die Flammen, die Schreie, die Löschversuche ... all das ist mir noch lebhaft in Erinnerung.
Später, als ich drei oder vier Jahre alt war, bezogen wir eine Wohnung in einem Mehrfamilienhaus in einem Vorort von Hamburg.
Sprachstörung
Ich war bestimmt
ein stilles Kind
frage ich meine Mutter
Nein, sagt sie
du hast
immer mit dir selbst
gesprochen
Schon als kleines Kind habe ich wahnsinnig gern gezeichnet und gemalt. Als ich dann lesen konnte, entdeckte ich eine ganz neue, absolut faszinierende Welt. Ich hatte auch das Glück, dass bald darauf eine Bücherhalle in unserer Nachbarschaft eröffnet wurde (Bücherhalle ist die Hamburger Bezeichnung für Stadtbibliothek). Von nun an ging ich jeden Tag in diese Bücherhalle. Manchmal las ich mehrere Bücher an einem Nachmittag. Ich liebte alle Bücher - Märchen, Bücher mit Gedichten, Reimen und Rätseln, Tierbücher, Mädchenbücher, Abenteuer- und Detektivgeschichten ... In Schönschrift trug ich in meine Lesekarten jedes Buch mit seinem Autor oder seiner Autorin und dem Titel ein. Ich besaß einen dicken Stoß solcher Lesekarten; leider habe ich sie eines Tages weggeworfen. Heute würde ich furchtbar gern wissen, welche Bücher ich damals tatsächlich gelesen habe!
Ich fing auch an, selbst Geschichten zu schreiben und stellte meine eigenen Bücher her, die ich illustrierte und mit Garn zusammennähte. Einige dieser Bücher habe ich noch, aber die meisten sind verloren gegangen.
Schon bald wurde mir das Schreiben so wichtig, dass ich beschloss, Schriftstellerin zu werden. Damals war ich ein recht eigenwilliges und ziemlich aufsässiges Mädchen. Um mich zu „erziehen“, schreckte meine Mutter nicht vor drastischen und grausamen Maßnahmen zurück. Oft sprach sie stunden- oder tagelang nicht mit mir. Hin und wieder sperrte sie mich auch in die Toilette, in der man nur von außen Licht machen konnte. In diesem winzigen dunklen Raum habe ich dann mit meinen Händen gespielt und mir vorgestellt, sie wären Elefanten (meine Daumen waren die Rüssel). In meiner Fantasie bin ich mit den Elefanten davongeflogen und habe herrliche Abenteuer erlebt.
Mein Vater war weniger streng. Aber leider hatte sein Wort in unserer Familie nicht viel Gewicht. Er hatte Asthma, war viel krank und verlor mehrmals seine Arbeitsstelle. Er war Optiker, doch später musste er in einer Fabrik arbeiten.
Sein Leben lang hat mein Vater geschrieben: Gedichte, Dramen und Romane. Er war der einzige in der Familie, der mich in meinem Wunsch, Schriftstellerin zu werden, bestärkt hat. Meine Mutter hielt Schreiben für „brotlose Kunst“ und meinte, ich sollte besser Sekretärin werden.
Mein Vater hat die Veröffentlichung meiner beiden ersten Bücher noch miterlebt: „Sarah bei den Wölfen“ bei Suhrkamp und „Der kleine Vampir“ bei Rowohlt. Er hat sogar an meiner allerersten Lesung für Kinder teilgenommen. Ganz aufgeregt saß er in der letzten Reihe und strahlte, als die Kinder nach der Lesung Bücher kauften und mich um ein Autogramm baten. Nicht lange darauf ist er gestorben.
Seitdem habe ich mir manches Mal vorgestellt, dass er von irgendwo da draußen im Universum zuguckt und sich mit mir freut. Meine Mutter hat nie eine positive Einstellung zu meiner Arbeit gefunden und spricht noch heute von meiner „Schreiberei“.
Selbstportrait mit Scherben
Komm nur!
Sei unbesorgt
ich bin aus Stein
nur in der Mitte hab ich einen Sprung
jetzt falle ich in viele Scherben
hörst du?
Ich klirre
das ist lustig
Natürlich wurde ich nicht gleich freiberufliche Schriftstellerin; mein „Brotberuf“ war zwölf Jahre lang Grundschullehrerin. Nach einigem Hin und Her und viel Kopfzerbrechen hatte ich mich für diesen Beruf entschieden.
Auch als Lehrerin hörte ich nie auf zu schreiben. Es war eine wunderbare Ermutigung für mich, als renommierte Literaturzeitschriften anfingen, meine Gedichte und Kurzgeschichten abzudrucken und ich zum Wettbewerb um den Leonce- und Lena-Preis nach Darmstadt eingeladen wurde. Eine der Jurorinnen war Hilde Domin, über deren Lyrik ich in der 13. Klasse ein Referat gehalten hatte.
Mein besonderer Ehrgeiz als Lehrerin einer Grundschulklasse war dann, aus allen meinen Schülern begeisterte Bücherleser zu machen. Und hier beginnt die Entstehungsgeschichte des Kleinen Vampirs: einige meiner Schulkinder waren nicht zum Bücherlesen zu bewegen. Im Gespräch mit ihnen fand ich heraus, wie die Bücher beschaffen sein müssten, die sie gern und freiwillig lesen würden. Sie sagten, Bücher sollten lustig, spannend und auch ein bisschen gruselig sein. Ich schrieb dann das erste Kapitel vom Kleinen Vampir und las es meiner Klasse vor - ohne zu verraten, dass ich die Autorin war. Anschließend bedrängten mich meine Schüler, ihnen mehr über die beiden ungleichen Freunde vorzulesen. Das konnte ich leider nicht, weil ich zu diesem Zeitpunkt erst ein einziges Kapitel geschrieben hatte!
Einen Verlag für den Kleinen Vampir zu finden, erwies sich in der Folgezeit als gar nicht so einfach. Zum Glück war man im Rowohlt Verlag, in der Redaktion rotfuchs, aufgeschlossener und mutiger als in anderen Verlagen. Und so erschien dort im Mai 1979 der allererste Band vom Kleinen Vampir.
In demselben Monat erschien auch mein Lyrikband „Sarah bei den Wölfen“ im Suhrkamp Verlag.
Für meine weitere Laufbahn als Schriftstellerin erwies sich der Kleine Vampir jedoch als mixed blessing. Ich wurde fortan in die enge Schublade der „Kinderbuchautorin“ gesteckt und in dieser Schublade wiederum in die noch engere Schublade der „Vampirautorin“. Tatsächlich habe ich aber mehr als vierzig Bücher zu sehr unterschiedlichen Themen und für unterschiedliche Altersgruppen veröffentlicht, außerdem Lyrik, Kurzgeschichten, Hörspiele und Theaterstücke.
Der Maulwurf
Ich habe lange Jahre
Gänge gegraben
immer ferner vom Licht
bis mir ein Pelz wuchs
vom Kopf zu den Zehen
die Finger sich krümmten
zu Krallen
Jetzt aber
während ich
langsam erblinde
fühle ich Sehnsucht
nach Licht
In der Zwischenzeit hatte ich geheiratet und eine Tochter, Katja, bekommen. Die Ehe hielt nicht lange und für eine Weile lebte ich mit Katja allein, bis ich meinen zweiten Mann, Burghardt, kennenlernte.
Das Interesse einer Filmfirma aus Hollywood an einem Kinofilm über den Kleinen Vampir brachte Burghardt und mich im Jahr 1991 zum erstenmal in die USA, nach Los Angeles. In Süd-Kalifornien gefielen uns das Klima und die Menschen so gut, dass wir beschlossen zu bleiben.
Bis zur Produktion des Kinofilms mussten dann aber unerwartet viele Hürden überwunden werden; erst im Jahr 2000 erreichte er weltweit die Kinos.
Kalifornien mit seinem Sonnenschein, seiner atemberaubend schönen Natur - vom Ozean über schneebedeckte Berggipfel bis zur Wüste -, seinem easy way of life, dem toleranten Zusammenleben von Menschen der verschiedensten Nationen und Kulturen erwies sich für mich als sehr befreiend. Ich begann wieder intensiv zu malen und stellte auch zum ersten Mal meine Bilder aus.
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Die Gedichte stammen aus dem 1987 im Rowohlt Verlag erschienenen Lyrikband
„Möwen und Wölfe“ (c) Angela Sommer-Bodenburg